Ein No Deal würde gewaltige Staus an den Grenzen, Probleme bei der Luftfracht und eine verzögerte Zollabfertigung verursachen. In den Unternehmen versucht man, sich bestmöglich vorzubereiten.
Der 31. Oktober ist für Europas Wirtschaft und ganz besonders für Europas Logistiker ein wichtiges Datum. Niemand weiß, ob es an diesem Tag zu einem harten Brexit kommt, Großbritannien den Binnenmarkt und die Zollunion von einem Tag auf den anderen verlässt. Das schafft Unsicherheit: „Das große Problem ist, dass man sich auf einen No Deal nicht wirklich vorbereiten kann“, sagt Oliver Wagner, Geschäftsführer des Zentralverbands Spedition und Logistik. Die handelspolitischen Beziehungen mit der britischen Insel würden von einem Tag auf den anderen auf vertragloses WTO-Niveau zurückfallen. Das hieße zumindest Grenzkontrollen, Zoll, Einfuhrumsatzsteuer für alle Waren von und nach Großbritannien.
Notfallplanungen
Gerald Gregori, Logistikkonsulent und Vizepräsident der Bundesvereinigung Logistik Österreich, sitzt derzeit in London und verfolgt die Entwicklung vor Ort. „Das Papier zur Yellowhammer-Operation liest sich wie eine Kriegsvorbereitung“, erzählt er. Es wurde vom britischen Finanzministerium verfasst und stellt eine Notfallplanung für einen Brexit ohne Abkommen dar. „Yellowhammer geht davon aus, dass sich der Warenfluss über den Kanal am ,D1ND‘, dem ,day one no deal‘, um die Hälfte reduziert.“ Hauptgrund hierfür wären allein die gewaltigen Verzögerungen durch Zollkontrollen. Schon vor einem Jahr habe das Imperial College London ausgerechnet, dass jede Minute, die eine Lkw-Kontrolle länger dauert, einen 16 Kilometer langen Stau verursache, erläutert Gregori: „Das wäre ein Alptraum für Logistiker. Selbst wenn die Kontrolle in Kent nur sieben Minuten pro Lkw dauert, gibt das einen Stau bis zum Trafalgar Square.“ Auf der anderen Seite des Eurotunnels bei Calais wäre es ähnlich. „Eigentlich müssten Logistiker auch einen Notfallplan haben, um ihre Fahrer aus dem Megastau zurückzuholen“, meint der Experte. Stauen könnte es sich nicht nur am Kanal, sondern auch in Österreich. Luftfracht aus Großbritannien etwa müsste in Schwechat verzollt werden. Für Spediteure wäre das grundsätzlich kein großes Problem, da die Verzollung von importierten Waren für sie zur täglichen Routine gehört. „Die Unternehmen sind dabei, die Abteilung Zoll aufzustocken“, erzählt Gritta Grabner, Geschäftsführerin des Fachverbandes Spedition und Logistik in der WKO. „Es gibt aber einen Fachkräftemangel, und Firmen können natürlich nicht auf Verdacht eines harten Brexit eine größere Zahl von zusätzlichen Mitarbeitern aufnehmen.“
Dabei wäre das Thema Zoll nur ein Problem am D1ND und an den folgenden Tagen. Auch zahlreiche andere Abkommen und Lizenzen würden quasi von einem Tag auf den anderen ihre Gültigkeit verlieren. Juristen in ganz Europa zerbrechen sich schon seit Monaten den Kopf, welche Auswirkungen das haben könnte, etwa auf den Luftverkehr und damit auf die Luftfracht. „Kopfzerbrechen macht uns, dass wir auf äußerst fragwürdige Rahmenbedingungen angewiesen sind“, sagt Wagner. Auch er unterstreicht, dass die ins Großbritannien-Geschäft involvierten Unternehmen zusätzliche Juristen und Zollexperten brauchten. Außerdem wisse man über viele Details einer Zollregelung noch nicht Bescheid. Hinzu komme die Frage, wie sich der österreichische Zoll auf die Situation einstellen kann, gibt Wagner zu bedenken: „Das Online-Zollsystem ist ja durch den Asienhandel schon ausgelastet.“
Wo Schatten, da auch Licht
Wobei auf der anderen Seite die drohenden Brexit-Szenarien für Speditionen letztlich durchaus Vorteile bringen können. „Unternehmen, die mit Großbritannien Geschäftsbeziehungen haben, werden in Zukunft vermutlich mit Zollformalitäten konfrontiert sein, und Spediteure bieten diese Dienstleistung an“, sagt Grabner. Ähnlich äußert sich Wagner: „Ein Experte, der einem unterstützend zur Seite steht, wird in dieser Situation notwendig sein.“ Zaubern könne allerdings der beste Experte vorerst nicht, ergänzt er: „Wo es kein Reglement gibt, können wir keines erfinden.“ Die großen Speditionen versuchen jedenfalls, sich auf alle Szenarien so weit wie möglich vorzubereiten. […]
[Quelle: www.diepresse.com]