In China herrschen eigene Vorstellungen von wirtschaftlicher Entwicklung. Binnen Jahrzehnten wurde das Land zur „Werkbank“ des Westens, nur um diese Rolle nun wieder über Bord zu werfen, um selbst zum Innovator und Gestalter zu werden. Der Rest der Welt wird da gleich mitgestaltet: In ganz Asien wachsen mittlerweile Straßen und Schienenwege, See- und Flughäfen aus dem Boden – finanziert mit bisher fast einer halben Billion Dollar aus China.
Für die vielfältigen Bemühungen haben die Strategen dort ein schönes Label gefunden: 2013 wurde die „One Belt, One Road“-Initiative ausgerufen. Oft wird von einer Neuen Seidenstraße zwischen Ost und West gesprochen.
„China hat in den letzten 30 Jahren riesige Mengen Geld in die Infrastruktur des eigenen Landes investiert – darunter 130 internationale Flughäfen. Die nächste Welle ist nun die Internationalisierung.
Man sieht das als konsequente Weiterentwicklung“, sagt Sebastian Kummer. Der Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik der Wirtschaftsuniversität Wien ist zugleich Professor an der chinesischen Jilin-Universität und ein Kenner des Landes.
Die Konzepte sehen einen Ausbau der Bahn- und Straßenkorridore durch Asien sowie der Schifffahrtsrouten bis an die Küsten Afrikas und Europas vor. Die Übernahme des Hafens von Piräus in Griechenland erhielt viel Aufmerksamkeit. Es ist aber nur die Europa betreffende Spitze des Eisbergs. Chinas Investitionsziele reichen von Indonesien bis Pakistan und von Kenia bis in die Mongolei. (…)
Ein Fokus liegt auf dem Ausbau der Bahnverbindungen. (…) 2018 kam der erste Zug der ÖBB-Güterverkehrssparte in Wien an, mit dem in 14-tägiger Fahrzeit Elektronik und Textilien in 44 Containern aus der chinesischen Metropole Chengdu hierher rollten, Hunderte weitere sollten folgen.
Die Anbindung Wiens an die Breitspurbahn der UdSSR-Nachfolgestaaten, die oft im Kontext der „One Belt, One Road“-Initiative auftaucht, wäre dagegen für Rohstoffimport aus Russland und Zentralasien relevant.
Bahn als dritte Option
Mit der Bahn kommt eine wichtige Transportoption hinzu, die bei Geschwindigkeit und Kosten zwischen schneller Luftfracht und einem Containerschiff, das bis zu 40 Tage nach Europa unterwegs ist, liegt. „Für bestimmte Branchen und Produktgruppen ist der Bahnweg besonders interessant. Neben der Elektronik oder dem Anlagenbau hat die neue Verbindung beispielsweise für die österreichischen Automobilzulieferer, vielleicht auch für die chemische Industrie Bedeutung“, erklärt Kummer.
Zudem hängt die Wahl auch von gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab. „Droht ein Einbruch der Konjunktur und die Nachfrage geht zurück, weichen Unternehmen von der Luftfracht zurück. Der nächste logische Schritt ist dann die Bahn.“ Die Variationsmöglichkeit von Kosten und Transportdauer durch die drei Optionen lassen neuen Spielraum für Optimierungen entstehen.
Lagerbestände müssen weniger hoch sein, die Unsicherheit, dass man eine erhöhte Nachfrage nicht abdecken kann, sinkt. „Im Weihnachtsgeschäft werden oft eigene Flugzeuge gechartert, um teure Elektronik nach Europa zu fliegen. Eine ,mittlere‘ Option zwischen Schiff und Flug ist aus Sicht der Logistik sehr hilfreich.“
Europäische Wettbewerbsvorteile
Die neuen Bahnverbindungen zwischen China und Europa mit ihren zehn- bis 14-tägigen Fahrzeiten könnten auch Einfluss auf den Paketmarkt haben, der ohnehin gerade einem starken Internationalisierungstrend folgt.
Direktversand aus China an europäische Konsumenten ist bereits jetzt Praxis. Für manche Produkte mögen auch günstige zweiwöchige Bahnfahrten sinnvoll sein. Die neuen Verbindungen werden an Bedeutung gewinnen, wenn Dienstleister aus China verstärkt nach Europa kommen.
Dem chinesischen Online-Konzern Alibaba wird etwa nachgesagt, in Hamburg ein Logistikzentrum eröffnen zu wollen. „Europas Logistiker haben noch Wettbewerbsvorteile, aber die Konkurrenz aus China wird kommen“, sagt Kummer. „Vielleicht noch nicht in drei oder fünf Jahren, in zehn aber bestimmt.“ Durchaus plausibel sei, dass sich China einfach in den Markt einkauft. Kummer: „Wenn ein mittelgroßer Logistikdienstleister zum Übernahmekandidaten wird, könnten chinesische Konzerne zuschlagen.“
Doch neue Konkurrenz muss nicht gleich den Untergang bedeuten. „Bis jetzt gibt es weltweit nirgendwo so gute Logistiklösungen wie in Europa. Gerade in der Abwicklung des internationalen Verkehrs hat man viel Erfahrung.
Alle großen Logistiker arbeiten zudem intensiv an neuen Digitallösungen“, sagt Kummer. „Doch auch in China entwickelt man effizientere Systeme. Der Angriff wird über neuartige digitale Systeme kommen. Der Ausgang des Matchs ist noch nicht entschieden. Ich bin Optimist.“
Der neue Güteraustausch mit dem Osten wird für heimische Logistiker jedenfalls Vorteile bringen. „Österreich hat schon sehr stark von der Ostöffnung profitiert. Die neuen Infrastrukturprojekte tragen nun dazu bei, dass man noch einen Schritt weiter gehen kann.“, sagt der Experte.
Zentralasiatische Länder sind sowohl als Absatz- wie auch als Beschaffungsmärkte interessant. Warum nur Bergbauprodukte, warum nicht auch Landwirtschaftsprodukte aus Kasachstan? Dabei wird der neue chinesische Einfluss kritisch gesehen, andererseits erwartet man sich durch einen wirtschaftlichen Aufschwung mehr politische Stabilität in den Regionen.
Um die neuen Chancen im Osten wahrzunehmen, wird für Kummer eine verstärkte Spezialisierung eine Rolle spielen: „Nur die Großen können im Rennen um die Kostenführerschaft mitmachen. Mittlere und kleine Unternehmen werden ihre Nischen finden müssen – oder verkaufen.“ Vielleicht sogar nach China.
[Quelle: derstandard.at]
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